Aus Berliner Morgenpost | 21.03.2004

Wie Potsdam im Jahre 2010 Kulturhauptstadt Europas werden kann, sagt Manager Bernd Kauffmann im Interview
Aus Berliner Morgenpost | 21.03.2004

Potsdam – Potsdam will 2010 Kulturhauptstadt Europas werden. Die Bewerbungsfrist läuft Ende März aus. Was kann die Stadt von Weimar lernen, das 1999 diesen Titel errang? Redakteur Dieter Salzmann sprach darüber mit Bernd Kauffmann. Er war Generalbevollmächtigter der „Weimar 1999 – Kulturhauptstadt Europas GmbH“.

Berliner Morgenpost: Herr Kauffmann, der Weimarer Geist und der Geist von Potsdam werden oft beschworen. Sehen Sie Parallelen?

Bernd Kauffmann: Ja und nein; so wie sich eben Macht und Geist wie ungleiche Brüder zueinander verhalten. Der eine steht für die Staatsmacht mit all seinen eher negativ belasteten Formen des Preußentums, wobei wir alle wissen, dass es auch sehr viel Hellsichtiges gab. Der andere steht für den Geist, die Möglichkeit jenseits der Wirklichkeit, oder für das Schöne, Gute und Wahre, wobei wir alle wissen, dass über dem Geist von Weimar der Schatten Buchenwalds liegt.

Ist die Ausganglage von Potsdam bei der Bewerbung mit der Situation von Weimar 1999 vergleichbar?

Auf eine merkwürdige Weise ja. Und zwar jenseits ihres unterschiedlichen Geistes und ihrer historischen Verknotung. Es sind beides kleine Städte, die in ihrer Ganzheit Kulturhauptstadt sein können. Sie unterliegen nicht der Gefahr, in Ballungsräumen zu verschwinden. Und beide Städte haben eine gebrochene Geschichte, die auch im Ausland wahrgenommen und immer noch debattiert wird.

Wie beurteilen Sie die Chancen für Potsdam?

Ich glaube, das kann heute keiner einschätzen. Irgendwann geraten die Städte, jenseits der Qualität ihrer Konzepte, in das Laufrad politischer Absprachen. Die Hälfte der Chancen wird vermutlich in der Substanz der Bewerbung und der Frage liegen, wer vertritt mit welcher Qualität Deutschland nach außen. Die andere Hälfte wird politische Abwägung sein. Wenn man eine Blaupause drüberlegt: Bei wem laufen um das Jahr 2010 große internationale Veranstaltungen, wie etwa Welt- oder Europameisterschaften etc. und wer ist hier benachteiligt: Dies spielt bei der Entscheidung sicher auch eine Rolle.

Was muss Potsdam tun, um erfolgreich ins Rennen zu gehen?

Da ist eine Kette von Anforderungen zu erfüllen – und nicht nur die der sehr weitmaschigen Kriterien der EU. Jede Stadt muss sich mit sich selbst auseinander setzen – aber ebenso stark und intensiv von sich selbst absehen können. Sie muss den Tellerrand ihrer eigenen Befindlichkeit überschreiten und begreifen, dass sie kein kommunaler Lunapark mit Bierzelten, Schlachtefest und Unterhaltungsbohäme ist. Sie muss mit ihren Produktionen und Ausstellungen ein ganzes Jahr lang ein in ganz Europa unübersehbares Zeichen für die Kunst und Kultur setzen.

Und was sollte besser vermieden werden?

Eine Stadt darf nie Fleisch im eigenen Saft sein. Sie muss viel mehr bieten als die Summe der Bemühungen ihrer eigenen Institutionen wie Theater und Museen. Friedrich der Große, ein bisschen Uniform samt etwas Aufklärung und Abklärung – das reicht nicht. Und sie muss – das hat eine besondere Bedeutung für ehemalige Städte der DDR – in überzeugender Gekonntheit Gastgeber sein. Nichts ist so schön wie eine Stadt, die in ihrer Gesamtheit als Gastgeber elektrisieren kann. Manche Städte scheinen zuweilen dem Größenwahn zu verfallen. Potsdam darf nicht kleinheitswahnsinnig werden. Man hat manchmal den Eindruck, Potsdam versteckt sich hinter Berlin. Dabei ist vieles in Deutschland in der Provinz und in der Peripherie entstanden und eben nicht in den Ballungsräumen. Und auf keinen Fall darf Streit vermieden werden. Denn Kultur bedeutet Streit und ist kein langweiliges Spaßbad.

In Potsdam spielen das Stadtschloss und die Garnisonkirche, die beide wieder aufgebaut werden sollen, eine wichtige Rolle.

Ich glaube nicht, dass die Wiederherstellung von etwas, was war, ausreicht, um den gegenwärtigen Geist einer Stadt sichtbar zu machen. Es genügt auch nicht, das Gute, Alte, Schöne herauszuputzen. Es muss auch eine Spur nach vorne gelegt werden. Auch die heute historischen Gebäude waren ja einmal ein Wegweiser ins Neue. Und das muss heute fortgesetzt werden. Denn jede Stadt bedarf eines neuen architektonischen Zeichens, das in die Annalen der Stadt eingeprägt wird.

Ein Konzept das 2004 entwickelt wird, hält das noch der Wirklichkeit des Jahres 2010 stand?

Das kommt auf das Konzept an. In Europa wird der Kampf der Städte um Marketingvorteile und Image-Transfers massiv werden. Was man da bei einigen Städten sieht, ist schon sehr respektabel. Und das muss mit einer Kulturhauptstadt Potsdam auch im intellektuellen Sinne passieren. Es muss versucht werden, annäherungsweise wie in einem Masterplan die großen Themen der Zukunft vorzudenken. Man sollte in keinem Fall schon heute konkrete Projekte nennen. Die sind 2010 ganz sicher nicht mehr aktuell.

© Berliner Morgenpost 2004